5.2.1 Eigenschaften von Layoutobjekten

Angenommen, in Ihrer Partitur tritt ein Legatobogen auf, der Ihrer Meinung nach zu dünn ausgefallen ist. Sie würden ihn gerne etwas schwerer gezeichnet sehen. Wie gehen Sie vor? Von den Anmerkungen in früheren Abschnitten wissen Sie schon, dass LilyPond sehr flexibel ist und eine derartige Modifikation möglich sein sollte, und Sie erraten vielleicht, dass ein \override-Befehl angebracht ist. Aber gibt es eine Eigenschaft für die Dicke eines Legatobogens (engl. slur), und wenn es sie gibt, auf welche Weise lässt sie sich verändern? Hier kommt die Referenz der Interna zur Geltung. Dort finden sich alle Informationen, um den beschriebenen und alle anderen \override-Befehle zu konstruieren.

Bevor Sie jetzt in die Referenz der Interna wechseln, ist eine Warnung angebracht. Es handelt sich um ein Referenzdokument, was heißt, dass es sehr wenig oder gar keine Erklärungen enthält: seine Aufgabe ist es, Information klar und genau darzustellen. Das bedeutet, dass es auf den ersten Blick entmutigend wirkt. Die Einführung und Erklärung in diesem Abschnitt wird Ihnen aber schnell ermöglichen, genau die Information aus der Referenz zu entnehmen, die Sie benötigen. Beachten Sie, dass die Referenz der Interna nur auf Englisch existiert. Um die Eigenschaftsbezeichnung eines bestimmten Objektes zu finden, können Sie das Glossar (siehe Musikglossar) verwenden, in dem die englischen Begriffe in viele andere Sprachen übersetzt sind.

Das Vorgehen soll an einem konkreten Beispiel einer echten Komposition demonstriert werden. Hier das Beispiel:

{
  \key es \major
  \time 6/8
  \relative {
    r4 bes'8 bes[( g]) g |
    g8[( es]) es d[( f]) as |
    as8 g
  }
  \addlyrics {
    The man who | feels love's sweet e -- | mo -- tion
  }
}

[image of music]

Angenommen also, wir wollen die Legatobögen etwas dicker setzten. Ist das möglich? Die Legatobögen sind mit Sicherheit ein Layout-Objekt, die Frage muss also lauten: „Gibt es eine Eigenschaft von Legatobögen, die die Dicke bestimmt?“ Um diese Frage zu beantworten, müssen wir in der Referenz der Interna ( kurz IR) nachschauen.

Die IR für die LilyPond-Version, die Sie benutzen, findet sich auf der LilyPond-Webseite unter der Adresse https://lilypond.org. Gehen Sie zur Dokumentationsseite und klicken Sie auf den Link zur Referenz der Interna. Die Sprache ändert sich ab hier nach englisch. Für diese Übung sollten Sie die HTML-Version benutzen, nicht die „auf einer großen Seite“ oder die PDF-Version. Damit Sie die nächsten Absätze verstehen können, müssen Sie genauso vorgehen, während Sie weiterlesen.

Unter der Überschrift Top befinden sich fünf Links. Wählen Sie den Link zum Backend, wo sich die Information über Layout-Objekte befindet. Hier, unter der Überschrift Backend, wählen Sie den Link All layout objects. Die Seite, die sich öffnet, enthält ein Liste aller Layout-Objekte, die in Ihrer LilyPond-Version benutzt werden, in alphabetischer Ordnung. Wählen Sie den Link Slur und die Eigenschaften der Legatobögen (engl. slur) werden aufgelistet.

Eine alternative Methode, auf diese Seite zu gelangen, ist von der Notationsreferenz aus. Auf einer der Seiten zu Legatobögen findet sich ein Link zur Referenz der Interna. Dieser Link führt Sie direkt auf diese Seite. Wenn Sie aber eine Ahnung haben, wie die Bezeichnung des Layout-Objektes lauten könnte, das sie ändern wollen, ist es oft schneller, direkt zur IR zu gehen und dort nachzuschlagen.

Der Slur-Seite in der IR können wir entnehmen, dass Legatobögen (Slur-Objekte) durch den Slur_engraver erstellt werden. Dann werden die Standardeinstellungen aufgelistet. Schauen Sie sich die Liste an, ob sie eine Eigenschaft enthält, mit der die Dicke von Legatobögen kontrolliert werden kann. Sie sollten folgendes finden:

thickness (number)
     1.2
     Line thickness, generally measured in line-thickness

Das sieht ganz danach aus, als ob damit die Dicke geändert werden kann. Es bedeutet, dass der Wert von thickness einfach eine Zahl (number) ist, dass der Standardwert 1.2 ist, und dass die Einheit für die Dicke eine andere Eigenschaft mit der Bezeichnung line-thickness ist.

Wie schon früher gesagt, gibt es wenig bis gar keine Erklärungen in der IR, aber wir haben schon genug Informationen, um zu versuchen, die Dicke eines Legatobogens zu ändern. Die Bezeichnung des Layout-Objekts ist offensichtlich Slur und die Bezeichnung der Eigenschaft, die geändert werden soll thickness. Der neue Wert sollte etwas mehr als 1.2 sein, denn der Bogen soll ja dicker werden.

Den benötigten \override-Befehl können wir jetzt einfach konstruieren, indem wir die Werte für die Bezeichnungen in den Modellbefehl einfügen und den Kontext auslassen. Setzen wir einmal einen sehr großen Wert für die Dicke um zu sehen, ob der Befehl auch funktioniert. Also:

\override Slur.thickness = #5.0

Vergessen Sie nicht das # vor dem neuen Wert!

Die nächste Frage ist nun: „Wohin soll dieser Befehl geschrieben werden?“ Solange wir uns noch im Lernstadium befinden, ist die beste Antwort: „Innerhalb der Noten, vor den ersten Legatobogen und nahe bei ihm.“ Also etwa so:

{
  \key es \major
  \time 6/8
  \relative {
    % Increase thickness of all following slurs from 1.2 to 5.0
    \override Slur.thickness = #5.0
    r4 bes'8 bes[( g]) g |
    g8[( es]) es d[( f]) as |
    as8 g
  }
  \addlyrics {
    The man who | feels love's sweet e -- | mo -- tion
  }
}

[image of music]

und wirklich wird der Legatobogen dicker.

Das ist also die grundlegende Herangehensweise, \override-Befehl zu formulieren. Es gibt einige zusätzliche Komplikationen, denen wir uns später widmen werden, aber Sie haben jetzt das Handwerkszeug, um Ihre eigenen Befehle zu konstruieren – wenn Sie auch noch etwas Übung benötigen. Die sollen Sie durch die folgenden Übungen erhalten.

Den Kontext finden

Manchmal muss dennoch der Kontext spezifiziert werden. Welcher aber ist der richtige Kontext? Wir könnten raten, dass Legatobögen sich im Voice-Kontext befinden, denn sie sind immer einzelnen Melodielinien zugewiesen. Aber wir können uns dessen nicht sicher sein. Um unsere Annahme zu überprüfen, gehen wir wieder zu der Seite im IR, die die Legatobögen beschreibt und die Überschrift Slur hat. Dort steht: „Slur objects are created by: Slur engraver“. Legatobögen werden also in dem Kontext erstellt, in dem sich der Slur_engraver befindet. Folgen Sie dem Link zu der Slur_engraver-Seite. Unten auf der Seite steht, dass der Slur_engraver sich in acht Stimmen-Kontexten befindet, unter anderem auch im normalen Voice-Kontext. Unsere Annahme war also richtig. Und weil Voice einer der Kontexte der untersten Ebene ist, welcher eindeutig schon dadurch definiert ist, dass wir Noten eingeben, kann er an dieser Stelle auch weggelassen werden.

Nur einmal mit \override verändern

Im Beispiel oben wurden alle Legatobögen dicker gesetzt. Vielleicht wollen Sie aber nur den ersten Bogen dicker haben. Das können Sie mit dem \once-Befehl erreichen. Er wird direkt vor den \override-Befehl gesetzt und bewirkt, dass nur der Bogen geändert wird, der unmittelbar an der nächsten Note beginnt. Wenn die nächste Note keinen Bogenbeginn hat, dann passiert gar nichts – der Befehl wird nicht gespeichert, sondern einfach vergessen. Der Befehl, mit \once zusammen benutzt, muss also wie folgt positioniert werden:

{
  \key es \major
  \time 6/8
  \relative {
    r4 bes'8
    % Increase thickness of immediately following slur only
    \once \override Slur.thickness = #5.0
    bes8[( g]) g |
    g8[( es]) es d[( f]) as |
    as8 g
  }
  \addlyrics {
    The man who | feels love's sweet e -- | mo -- tion
  }
}

[image of music]

Jetzt bezieht er sich nur noch auf den ersten Legatobogen.

Der \once-Befehl kann übrigens auch vor einem \set-Befehl eingesetzt werden.

Rückgängig machen

Eine weitere Möglichkeit: nur die beiden ersten Legatobögen sollen dicker gesetzt werden. Gut, wir könnten jetzt zwei Befehle benutzen, jeden mit dem \once-Präfix und direkt vor die entsprechende Note gestellt, an welcher der Bogen beginnt:

{
  \key es \major
  \time 6/8
  \relative {
    r4 bes'8
    % Increase thickness of immediately following slur only
    \once \override Slur.thickness = #5.0
    bes[( g]) g |
    % Increase thickness of immediately following slur only
    \once \override Slur.thickness = #5.0
    g8[( es]) es d[( f]) as |
    as8 g
  }
  \addlyrics {
    The man who | feels love's sweet e -- | mo -- tion
  }
}

[image of music]

Wir könnten aber auch den \once-Befehl weglassen und anstelle dessen später den \revert-Befehl einsetzen, um die thickness-Eigenschaft wieder auf ihren Standardwert zurückzusetzen:

{
  \key es \major
  \time 6/8
  \relative {
    r4 bes'8
    % Increase thickness of all following slurs from 1.2 to 5.0
    \override Slur.thickness = #5.0
    bes[( g]) g |
    g8[( es]) es
    % Revert thickness of all following slurs to default of 1.2
    \revert Slur.thickness
    d8[( f]) as |
    as8 g
  }
  \addlyrics {
    The man who | feels love's sweet e -- | mo -- tion
  }
}

[image of music]

Der \revert-Befehl kann benutzt werden, um eine beliebige Eigenschaft, die mit \override geändert worden ist, wieder in ihre Standardeinstellungen zurückzuversetzen. In unserem Beispiel können Sie die Methode benutzen, die Ihnen lieber ist, beide haben das gleiche Resultat.

Damit endet die Einleitung in die Referenz der Interna (IR) und die grundlegenden Optimierungsmethoden. Einige Beispiele folgen in späteren Abschnitten dieses Kapitel, einerseits um Sie mit weiteren Möglichkeiten der IR bekanntzumachen, andererseits um Ihnen mehr Übungsmöglichkeiten zu geben, die relevante Information dort zu finden. Die Beispiele werden Schritt für Schritt immer weniger Erklärungen beinhalten.


LilyPond Handbuch zum Lernen v2.25.14 (Entwicklungszweig).